Wir sind schwanger- hurra.

Ich fühle mich stark, unbesiegbar. Ich erlebe eine Traumschwangerschaft. Noch nie zuvor fühlte ich mich schöner, mehr Frau als in dieser Zeit. Als ob mich ein unsichtbares Schutzschild unantastbar und vollkommen glücklich und strahlend macht. Endlich war ich „ganz“. Mein Bauch wurde größer, formte sich aus. Mein Sohn wuchs und gedieh.
Ganz klar spürte ich: „Ich möchte eine Hausgeburt“. Die Stimmen im Umfeld waren laut und stark dagegen: das ist zu gefährlich, du bist zu alt, hast du denn keine Angst?

Nein, ich spürte ganz klar, dass ich mich zuhause mit meinem Mann und meiner Hebamme sicher und geborgen fühlen würde, ganz ich sein kann und dadurch egal was kommt alles stemmen kann. Meine Hebamme bestätigte mir, dass der Verlauf der Schwangerschaft, meine körperliche Konstitution sowie auch meine psychische Stabilität für eine Hausgeburt sprechen würden und wir alle stellten uns klar darauf ein.

Dennoch musste ich mich im Krankenhaus anmelden – zur Sicherheit. Wenn etwas schiefgehen würde. Ich ging also zu allen Kontrollen ins Spital. Der errechnete Geburtstermin kam, aber unser Sohn wollte noch nicht kommen. Die innere Anspannung wuchs. Wann würde es soweit sein. Aber noch waren ja 10 Tage Zeit. Eine Grenze die für mich als unumstößlich wahrgenommen wurde, denn nach 10 Tagen würden sie mich im Spital nicht mehr gehen lassen und die Geburt einleiten. Jeden 2. Tag ging ich also ins Spital und ließ ein CTG schreiben…alles in Ordnung, aber keinerlei Wehentätigkeit.

Ich telefonierte mit meiner Hebamme, die mich beruhigte und sagte, dass wir nachhelfen können, ganz „natürlich“. Sie sagte mir, dass ich an Tag 10 nicht ins Spital müsse- keiner könne mich zwingen, aber wenn ich gehe, würde man mich dabehalten. Irgendwie war dieser Tag wie ein Marker. Der Druck in mir wurde stärker. Die schulmedizinische Norm machte mir Angst. Ich versuchte also zu entsprechen. Ich hörte nicht mehr auf mich oder mein Kind. Nur dieses Datum war wichtig. 

Es darf losgehen

Wir versuchten also mit Ölen, Bewegung, Entspannung und Übungen meinem Sohn zu suggerieren, dass es soweit sei, dass er nun kommen soll. Und mein Körper reagierte. An Tag 10 nach errechnetem Geburtstermin begannen die Wehen. Um halb eins in der Nacht. Wir freuten uns, verständigten die Hebamme. Langsam steigerten sich die Wehen. Die Nacht war freudvoll, es war Februar. Es war kalt. Mein Mann machte dann ein Kaminfeuer an. Es wärmte meinen Rücken, meine Hebamme kam nach einer Geburt, untersuchte mich und ließ uns ganz in unserem Prozeß sein. Ich fühlte mich sehr wohl, bewegte mich frei im Haus. Gegen Mittag wurden die Wehen deutlich stärker. Ein Wasserbecken mit warmen Wasser wurde aufgestellt. Ich atmete, ließ mich den Wellen über. Mein Mann war bei mir – liebend und stolz. Wie waren im Fluss, ganz im Tun. Ich ließ mich tragen von meinem Körper, der mich führte. Aber ich ahnte bereits, dass es nicht schnell genug voran ging. Meine Hebamme untersuchte mich. Der Muttermund ging nicht weiter auf. Muttermunddehnung.

Der Eingriff war schmerzhaft, kostete Kraft. Eine befreundete 2. Hebamme kam hinzu. Sie begleitete mich aktiv, gab mir Anweisungen, war direktiver. Das brauchte ich zu diesem Zeitpunkt der Geburt, denn die Kräfte schwanden. Auch das Vertrauen in mich, in den Fortschritt der Geburt. Ich spürte, dass es nicht so enden würde, wie ich es mir erhoffte. Um kurz vor 18:00 Uhr abends, nach also etwa 18 Stunden empfahl mir meine Hebamme die Hausgeburt abzubrechen und ins Spital zu fahren. Ich war enttäuscht, aber erstmals auch ängstlich, unsicher, nicht mehr in meiner Kraft. Wir riefen im Spital an. Es hieß, dass meine Hebamme mitkommen könne. Ich bekam eine Spritze, die die Wehen stoppen sollte bis wir im KH waren. Mühsam und unter großen Schmerzen- ja erstmals in diesem Prozess empfand ich Schmerzen, begab ich mich ins KH. Begleitet von meinem Mann  und meiner Hebamme. Als ich ins Auto stieg und über die Schwelle meines Hauses ins Außen schritt, war es als verlor ich mein Schutzschild, meinen sicheren Hafen. Ich wurde klein, Spielball von anderen. Ich war nicht mehr mit mir und meinem Kind verbunden.

Angekommen im Krankenhaus bekam ich eine PDA angelegt- sicher ist sicher-. Da mein Kind Sterngucker war, musste ich eine Position in Hündchen- Stellung einnehmen um die Möglichkeit zu gewähren, dass er sich drehen könne und spontan geboren werden konnte. Stunden lag ich so da. Meine Hebamme durfte doch nicht bleiben- so die stationsführende Ärztin. Ich müsste mich entscheiden: Hebamme oder meine Mann. Nur eine Person. Also entschied ich mich für meinen Mann. Spital, fremde Umgebung, vertraute Hebamme weg, entkräftet. Ich war also klein, ängstlich, verunsichert und meiner Bindungsperson beraubt und sollte gebären…. Offen sein, mich fallen lassen, mich dem Körper überlassen. Wie soll man denn offen sein, wenn alles in einem schreit: verlier hier ja nicht die Kontrolle – du bist unsicher!!!!!

Mein Kreislauf sackte weg. Ich musste mich übergeben. Dabei übergab ich mich in die Kabeln und Instrumente im Raum. Ich hörte wie die Hebamme sich bei einer Kollegin beschwerte: „Jetzt hotts a no olles angspiebn“. Ich fühlte Scham. Ich wollte nur mehr weinen, raus aus der Situation, aber ich war hilflos. Ich spürte wie mein Kind kämpfte. Seit Stunden versuchte er in den Geburtskanal zu drängen. Die Wehen spülten ihn hinein, aber es sollte nicht sein. Ein Glück- wer weiß was da passiert wäre. Er schaffte es sich zu drehen – Hurra- es kann weitergehen. Doch als wir weitermachen wollten, hatte er sich noch einmal zurückgedreht. Wieder Hündchenpositon, wieder warten. Keine Kräfte mehr. 24 Stunden waren vergangen. „Ich kann nicht mehr“. Selbst wenn er sich dreht, ich schaffe keine Presswehen mehr. Ich hatte meinen Biss verloren, meine Kraft. Stunden vergingen. Ich war schon lange nicht mehr psychisch anwesend.

Notsectio

Dann die Worte: wir müssen einen Notsectio einleiten. Das Fruchtwasser färbt sich. Es sei zu lange. Die Lage lasse keine Spontangeburt zu. Hämmern. Jetzt solle es schnell gehen. Menüplanzettel ausfühlen!!!! Schmuck runter. Stützstrümpfe an. Rein in den O.P. Kalt, steril, nackt, abgedeckt, Tränen laufen, fast schon hysterisch… ich bekomme etwas was mich beruhigt. Ich schluchze. Spüre diesen Schmerz, das Zerren, das Schneiden, das Drücken- oh mein Gott meine Seele schreit. So viele Menschen um mich herum, aber ich fühle mich alleine. Mein Mann ist ebenfalls im Schock, in der Sorge, im Ausnahmezustand- entkräftet und überwältigt. Ich höre meinen Sohn schreien. Er ist da. Sie wollen ihn mir zeigen, aber ich höre mich sagen: ich will ihn nicht sehen. Er soll mich nicht so kennenlernen. Ich bin nicht ich, ich bin nicht seine Mama, er soll eine Mama vorfinden, die ihn umarmen, lieben und küssen kann. Eine Mama, die ihm sagen kann, dass er das Wundervollste auf dieser Welt ist, dass er wunderschön ist und geliebt ist. Eine Mama, die ihn tröstet und ihm sagt, dass es jetzt vorbei ist, er jetzt da ist und alles gut ist. Aber er würde eine Mama vorfinden, die entkräftet ist, unendlich traurig, nicht in ihrem Körper, die sich schämt, die nur mehr weinen kann. 

Er kommt zu meinem Mann – ist dort bestens versorgt und geborgen. Ich wimmere, weine und höre die Ärztin sagen: „knipst sie aus.- das ertrage ich nicht“. Ja, bitte knipst mich aus – ich will das Zunähen nicht erleben, ich will mich wegbeamen. Was für ein Alptraum. Ich erwache eine halbe Stunde später im Aufwachzimmer. Mein Mann und mein Sohn kommen gleich. Ich bin noch benommen, aber bekomme mein Kind auf die Brust gelegt. Ich bin überwältigt und taub zugleich. Da ist er. Mein Sohn.

Schuld. Ich fühle Schuld. Nein, so hätte das alles nicht laufen sollen. Er hätte gleich bei mir sein sollen. Was ist mit dem bonding. Ich sehe ihn an. Er ist so unendlich lieb. Und er riecht so gut. Ich bekomme ein Stillhütchen. Er sucht meine Brustwarze. Ich wirke glücklich und zufrieden, sagt mir mein Mann. Er sagt, dass ich unendlich liebevoll mit unserem Sohn war, stolz war, gestrahlt hätte. Das weiß ich nicht mehr. Diese Erinnerung fehlt. So wie einige Gefühlserinnerungen der ersten Tage. Das Gefühl Schuld, versagt zu haben, nicht geboren zu haben, das Einfachste der Welt nicht geschafft zu haben, die denkbar ungünstigsten Bedingungen für den Lebensstart meines Kindes geschaffen zu haben, begleiten mich. Ich weiß, es fehlt mir das Oxytozin, das bei Spontangeburt bei Mutter und Kind erzeugt wird. Ich kann nicht sehen, dass es ein Segen ist, dass er gesund zu Welt kommen konnte, was er ohne Medizin nicht gekonnt hätte. Ich sehe nur den Mangel, das Versagen, das was dadurch nicht ist. Ich fühle mich beraubt. Beraubt um Emotionen, um Gefühle um eine Geburt wie ich sie mir vorgestellt habe. Niemand hat Schuld- ich schon!!!!! Ich hätte mich besser vorbereiten müssen, ich hätte früher reagieren müssen… ich hätte….

Das Stillen klappt wunderbar: Na wenigstens das. Mei Sohn trinkt und ist bei mir. Aber ich bin nicht bei mir. Ich fühle mich von mir getrennt. Alles in mir will dieses kleine Wesen schützen, bestens versorgen, alles tun was notwendig ist und mehr. Ich will gutmachen, was er durchmachen musste. Mag wettmachen, dass der Start so scheiße war. Aber ich spüre gleichzeitig wie schwach ich bin, völlig entkräftet. Übermüdet, ich schlafe kaum. Will die PDA loswerden, die mir aber größer aufgedreht wurde. Man meint es gut. Ich spüre meine Beine nicht. Alles taub. Das macht mich wahnsinnig.  Noch mehr Kontrollverlust. Sie bieten mir an, meinen Sohn im Babyzimmer zu lassen und ihn mir zu bringen, wenn er trinken möchte, damit ich mich ausruhen kann. Als ich erwache, schreit er bereits fürchterlich. Ich weiß nicht wie lange. Ich hatte mich also fallen lassen, mich um mich gekümmert und geschlafen und was war passiert: er brüllt wie am Spieß. Wie lange schon: ich weiß es nicht: ich habe ihn abermals alleine gelassen, weinen lassen. Schuld. Nie wieder sollte mir das passieren.

Ab diesem Zeitpunkt bin ich rund um die Uhr bei ihm. Ich achte jedes Äh. Ich bin da. Er soll wissen und spüren, dass ich immer da bin!!!!!!
Brav erfülle ich alles was von mir verlangt wird. Mein Zimmer liegt am Ende eines langen Ganges, den man überwinden muss, um ins Stillzimmer zu gelangen. Dort lernt man stillen, „beweist“, dass man wickeln und stillen kann, bekommt die Babypflege gezeigt. Für eine Kaiserschnittmama ein Horror. Ich habe Schmerzen beim aufrechten Gehen. Ich soll mein Baby richtig tragen, kann meinen eigen Körper kaum schleppen. Irgendwie schaffe ich es dorthin. Dort fragt niemand wie es mir gehe, nimmt Bezug auf die Notsectio, auf die lange schwere Geburt. Dort sitzen die Spontanentbinderinnen und lächeln ihre Babys an. Ich fühle mich falsch, nicht dazugehörend. Mein Ziel ist es so schnell wie möglich nachhause zu kommen. Hier bekomme ich nichts was ich brauche. Zwiebelsuppe und Tunfischpizza nach Notsectio? Echt jetzt? Egal, ich sage nichts. Es ist ruhig. Die Milch schießt, der Babyblues ist da. Da kommt eine Schwester. Sie sagt kein Wort, zieht meine Decke weg, holt meine rechte Brust raus und beginnt diese zu massieren. Ich fühle mich wie eine Melkkuh. Dann legt sie mein Kind an diese Brust. Sie spricht nicht, erklärt nichts, tut nur. Übergriffig, nicht achtsam. Routine eben. Ich erhalte kein psychologisches Gespräch, keinen Flyer. Es ist ja nichts gewesen. Ein Notkaiserschnitt ist alltäglich. Für mich war er lebensverändernd. Nichts war danach wie zuvor. 

Endlich zuhause

Sicheres Umfeld, ein wenig Entspannung, alles ist gut…aber es fühlt sich nicht gut an. Die Gedanken kreisen um das Geschehene. Die Gefühle dominieren: Schuld, Scham, Trauer, 

Ich spreche darüber mit meiner Hebamme. Das sei alles normal. Sie bestärkt mich mit Übungen, erarbeitet mit mir Glaubenssätze. Eine Woche später allerdings meint sie: Wann wirst du endlich wieder die starke Lisi sein, die ich kenne?

Dieser Satz trifft mich wie selten einer zuvor. Ja, ich wäre das ja gerne wieder, aber es gibt die starke Lisi nicht mehr,- ich habe sie verloren….ich habe mich verloren. Wenn du das nicht verstehst, wer denn dann. Ich bin nicht richtig. Ich sollte das alles anders empfinden. Ich bin überempfindlich. Hab ich eine postpartale Depression?

Nein, die Symptome passen nicht. Aber es stimmt was nicht mit mir. Die Wochen vergehen. Mein Sohn wird zunehmend unruhiger, weint mehr, lässt sich kaum beruhigen. Findet wenig Schlaf und wenn ja, unruhig und kurz. Mein Stresspegel steigt. Die Auszeiten und das Schlafen werden weniger. Akuter Schlafmangel. Keine Überraschung mit Baby, aber dennoch spüre und weiß ich, dass da mehr ist. Ich bin dauerwachsam, übererregt. Habe das Gefühl ihn nicht beruhigen zu könne, keine gute Mutter zu sein, ich kann ihn nicht zum schlafen bringen. Ich versage erneut. Ich kann das alles nicht. Ich bin nicht richtig. Mein Körper braucht so lange zum erholen, bräuchte soviel Ruhe. Aber es gibt keine Ruhe. Kein Ablegen des Babys, keinen Schlaf. Also Augen zu und durch. Ich trage ihn, stundenlang, begleite sein Schreien und Weinen stundenlang. Klinke mich aus, ohne es zu merken. Er kann emotional oft nicht bei mir andocken, weil ich ja gar nicht da bin, physisch schon. Und ich will. Ich will alles für ihn tun, da ist so unendlich viel Liebe, aber ich kann nicht. Bin von mir selbst abgeschnitten. Ich suche im Internet, nach Antworten, aber ich stelle die falschen Fragen,- nichts passt. Außerdem kann ich nirgends hin. Mein Kind will nicht im Auto fahren, bei Ortswechsel weint er umso heftiger. Mein Mann geht arbeiten. Ich bin alleine. Ich würde ihn auch nirgends anders lassen und wir stillen in kurzen Abständen. Ich kann nirgends hinfahren, um mir Hilfe zu holen, und wo auch, bei wem?

Langsam….. ganz langsam bekomme ich die Idee davon traumatisiert zu sein. Ich finde eine Adresse, aber die Teilnahme an diesem Seminar ist unmöglich. 3 Tage, nicht in örtlicher Nähe…unmöglich, also vertage ich das. Aber PTSD…Posttraumatische Belastungsstörung….PTSD liegt im Raum… eine Tür öffnet sich. Ich beginne mich damit auseinanderzusetzen. Kann mich, mein Verhalten und folglich auch das Verhalten meines Babys dadurch einordnen. Finde Hilfe für meinen Sohn. Denn ich will, dass allem voran er nicht mehr darunter leidet, dass ich versage. Ich verstehe immer mehr und mehr. Ich bin traumatisiert. Ich und mein Körper reagieren völlig richtig und normal auf eine Situation die alles andere als normal ist. Ich darf alle diese Gefühle haben. Sie sind richtig. 

Ich bin richtig, so wie ich bin….

und das war der Anfang…alles entspannt sich…

ich bin richtig so wie ich bin….

ich darf sein…

ausatmen…..

Lisi Vitali